Am Hamerlingplatz

Wer in der Josefstadt lebt, kennt ihn: Der Hamerlingplatz samt Park gerät aufgrund seines Namens immer wieder in den politischen Diskurs. 2021 wurde auf Empfehlung der Historiker:innen-Kommission der Stadt Wien sogar eine Kontextualisierung auf der eigenen historischen Onlineplattform „Wien Geschichte Wiki“ verfasst. Denn dem Dichter und Schriftsteller Robert Hamerling wird Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit vorgeworfen.

von Nasim Neghabat

Wer war Robert Hamerling?

Der Waldviertler wurde 1830 in Kirchberg am Walde unter dem Namen Rupert Hamerling geboren, bis 1865 unterrichtete er Deutsch, Griechisch und Latein. Danach widmete er sich dem Schreiben und Dichten und zählte bald zu den meistgelesenen österreichischen Autoren des 19. Jahrhunderts.

Auch auf einer Ehrentafel in der Aula der Universität Wien ist sein Name zu finden. In einem Aufarbeitungsversuch von Seiten der Universität wird Folgendes geschrieben: „ … [Hamerling] warb in seiner Lyrik mit stark antisemitischen Tönen vehement für die nationale Einigung aller Deutschen. … Statt existierende Missstände zu analysieren und zu kritisieren bot [!] er lustvolle Rückgriffe auf uralte Vorurteile gegen Jüdinnen und Juden als deren Verursacher:innen …“

Im Jahr 2011 richtete die Stadt Wien erstmals eine Kommission ein, die sich mit der historischen Bedeutung von Straßennamen auseinandersetzt. Mitglieder besagter Kommission sind der ehemalige Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny von der SPÖ, der ehemalige Gemeinderat und heutige Landtagsabgeordnete Martin Margulies von den Grünen und der Historiker und Autor des Buches „Umstrittene Wiener Straßennamen“ Oliver Rathkolb. Diese Kommission stufte den Hamerlingplatz 2021 als Fall mit Diskussionsbedarf ein und nahm eine zeithistorische Kontextualisierung auf der Wissensplattform „Wien Geschichte Wiki“ vor, in der unter anderem Folgendes zu lesen ist:

„Außer Zweifel steht, dass Antisemitismus zur Zeit von Hamerlings literarischer Produktivität weit verbreitet war und dass auch sein Werk von antisemitischen Stereotypen durchzogen ist … Hamerlings Texte wurden von deutschnationalen und antisemitischen Kreisen vereinnahmt … Inwiefern Hamerling aktiv zur Verbreitung antijüdischer Ressentiments beitrug, darüber gibt er [!] unterschiedliche Auffassungen.“

Was sagen weitere Expert:innen?
junge Frau mit mittelalten Herrn stehend vor einer Holzwand

Die Künstlerin Julia Hovorka mit dem Josefstädter Bezirksvorsteher Martin Fabisch bei der Präsentation des Kunstprojektes im Herbst 2022

Auch die Künstlerin Julia Hovorka setzte sich mit dem Platz auseinander und präsentierte im Oktober 2022 eine Kunstinstallation. Sie ließ vier QR-Codes an den Parkeingängen anbringen, welche einen direkt zu Interviews mit Expert:innen und Anrainer:innen führen.

Einer von ihnen ist der Historiker Prof. Mag. Awi Blumenfeld. Mit dem Satz „Just do it“, fordert er die Stadt dazu auf, hier zu handeln. Er argumentiert, dass Hamerlings Literatur schon lange nicht mehr Teil unseres kulturellen Erbes sei und ein Menschenfeind keiner öffentlichen Nennung bedürfe. Eine einfache Umbenennung des Platzes schlägt er jedoch nicht vor. Damit sei die Herausforderung nicht gelöst. Vielmehr stellt er die Idee in den Raum, Hamerlings Namen durchzustreichen, eine Kontextualisierungstafel hinzuzufügen und den Platz zusätzlich umzubenennen. Wichtig sei es, die Geschichte nicht zu vergessen.

Auch die Vizepräsidentin der jüdischen österreichischen Hochschüler:innen Victoria Borochov empfindet Kontextualisierungstafeln als unzureichend. Hamerling erhielte immer noch eine unangemessene Ehrung.

Eine anonyme jüdische Publizistik-Studentin weist darauf hin, dass nicht nur Robert Hamerling selbst antisemitischen Vorurteilen Glauben schenkte, sondern diese auch noch aktiv durch seine Literatur verbreitete. Sowohl der Schriftsteller als auch sein Werk seien zu verurteilen.

Zukünftige Maßnahmen der Stadt Wien?

Die Geschichte darf also nicht vergessen werden. Weder eine Umbenennung noch eine Kontextualisierungstafel sind ausreichend. Laut Expert:innen brauche es mehrere Maßnahmen, wie Kunstprojekte, eine Durchstreichung des alten Straßennamens und zusätzlich eine Umbenennung.

Von historisch kritischen Benennungen sind über 170 Straßen, Gassen und Plätze in Wien betroffen. Seit der Gründung der Historiker:innen-Kommission der Stadt Wien erhielten 28 davon eine Kontextualisierungstafel. Für die Stadt Wien sollen Umbenennungen jedoch weiterhin die Ausnahme bleiben. Mit Kontextualisierungstafeln oder Einträgen auf der Wissensplattform „Wien Geschichte Wiki“ soll weiterhin gearbeitet werden. Offizielle Begründungen gibt es hierzu keine.

collage dichter hammerling und park

Der Dichter Robert Hamerling und der nach ihm benannte Park

Von diversen Kunstinstallationen bis zu durchgestrichenen Namen stehen einige Ideen im Raum, die die Straßen Wiens verändern könnten. Nun stellt sich die Frage, ob eine unbegründete Abwehrhaltung seitens der Stadt nicht nur unzureichend ist, sondern auch noch aktive Aufarbeitungsprozesse bremst.

Vielmehr müsste ein Rahmen geschaffen werden, der einen kreativen Austausch zwischen Künstler:innen, Aktivist:innen und Expert:innen ermöglicht und den Diskurs um einen angemessenen Umgang mit Straßenbenennungen fördert.

Die Interviews von Julia Hovorka mit  fünf jüdischen Personen und vier Anrainer:innen zur Aufklärung über den Antisemitismus und Sexismus des Dichters Robert Hamerling können Sie hier ansehen: https://www.youtube.com/@problematischestraennamenw1732