Das Märchen der kleinen Schnee- und Eisfee

Es war der Tag vor Heiligabend. Wie jedes Jahr saß der sechsjährige Daniel mit seiner Großmutter vor dem Kaminfeuer der alten Berghütteund ließ sich Weihnachtsmärchen vorlesen. Dies gehörte gewissermaßen schon zur alljährlichen Familientradition.

von Max Mitterer

„Großmutter, erzähle mir doch das Märchen der kleinen Schnee- und Eisfee, da es doch dieses Jahr zu wenig schneit!“, bat er. Die Großmutter kam dieser Bitte nach. „Dieses Märchen, musst du wissen, spielte sich vor sehr langer Zeit ab. Da lebte ein Junge namens Franz, der ungefähr so alt war wie du, in einem kleinen Haus im Tal im Zentrum eines kleinen Dorfes. Zwar war es winterlich kalt aber dennoch wollte kein Schnee fallen, was Franz sehr traurig machte, denn er hatte gerade Geburtstag gefeiert und nichts würde ihn glücklicher machen als es schneien zu sehen. „Weißt du“, sagte da seine Mutter, „es gab da einmal ein großes und prächtiges Schloss hoch auf dem Berge, dort lebte einst die kleine Königin der Schnee- und Eisfeen. Ich bin mir sicher, dass sie noch immer dort lebt, doch ist sie schwer krank. Deshalb schneit es nicht mehr. Leider ist es so, dass Schnee vielen Menschen nichts mehr bedeutet und dadurch ist auch diese Krankheit entstanden, die in Form der Königin der Wärme-Feen existiert. Nur jemand, dem Schnee wirklich alles bedeutet, kann diese Krankheit heilen. Ich glaube, du könntest dieser jemand sein, du musst nur ganz fest daran glauben! So verlasse unser Dorf und klettere den Berg gleich hinter dem Dorfausgang hinauf. Du kannst ihn direkt von unserem Haus aus sehen!“, erklärte sie ihm. Franz schaute hinaus und staunte. Zwar war er schon auf einige Berge geklettert, jedoch hatte er bisher noch nie einen solch hohen Berg bestiegen und schon gar nicht im Winter. Er überlegte, ob er es nicht doch bleiben lassen sollte, doch sein Wunsch, es an Heiligabend schneien zu sehen, war größer und so beschloss er, den Weg auf den Berg zu wagen.

Er zog sich seinen Pullover, seine klobigen Wanderschuhe und seine dünne Jacke voller Löcher an (mehr konnten sich Franz und seine Mutter nicht leisten) und begann den Aufstieg, der für ihn nie zu enden schien. Nicht einmal die Aussicht konnte Franz im Moment begeistern, da alles in dunklen Nebel gehüllt war. Je weiter Franz nach oben kam, desto kälter wurde ihm und er dachte, er müsse bald wieder umkehren. Dann bemerkte er jedoch, dass er sich auf einer Anhöhe befand und auf dieser erkannte er das Schloss, dass ganz aus Eiskristallen zu bestehen schien. Zwar sah es so aus, wie seine Mutter es ihm beschrieben hatte, doch wirkte es im Moment trostlos und verlassen. Franz schritt auf das Tor zu und klopfte an. Er war sich sicher, er würde sich die Finger abfrieren, so kalt war das Tor, doch zu seinem Glück wurde sofort geöffnet. Ein Wächter in Form eines alten riesigen Mannes fragte ihn mit schwacher, krächzender Stimme, was er hier wollte. „Ich bin ein kleiner Junge aus dem Tale, und ich möchte der Feen-Königin helfen. Ich bin sicher, dass ich sie heilen kann“, sagte Franz selbstsicher. Der alte Mann antwortete traurig, dass dies bisher noch nie jemand geschafft hatte, obwohl es doch so schön wäre, sie wieder gesund zu sehen. Mit diesen Worten gewährte er Franz Einlass und führte ihn in das Schlafgemach der Feen-Königin. Er ging nahe an ihr kleines Bett heran, wo sie dick in eine warme Decke eingehüllt auf einem Polster lag. „Eure Majestät, da ist ein kleiner Junge, der euch helfen möchte“, sagte der Wächter. Die Feen-Königin winkte Franz ans Bett heran. „Wie kannst du mir schon helfen? Lange habe ich durch diese Krankheit nicht mehr zu leben und ich sehe im Moment keine Hoffnung auf Heilung, denn bisher habe ich noch nie jemanden getroffen, der Schnee über alles liebt“, sagte sie mit leiser Stimme. „Eure Majestät des Schnees und des Eises, ich bin weit aus dem Dorfe unten im Tale gekommen, um Sie zu heilen! Sie müssen wissen, dass ich vor einer Woche sechs Jahre alt geworden bin und es würde mir alles auf der Welt bedeuten, wenn es einmal im Jahr an Heiligabend schneit. Schon als ich ein Jahr alt war, war dies mein Wunsch und es wäre das schönste Geburtstagsgeschenk, das ich jemals bekommen habe und ich würde absolut alles dafür tun und geben, wenn sich dieser Wunsch erfüllt!“ Und siehe da, diese Worte erweichten das Herz der Schnee- und Eiskönigin und die Krankheit ward wie von Geisterhand verschwunden. Die Königin dankte ihm von ganzem Herzen. Sie war genauso überglücklich wie Franz, als sie ihm das Versprechen gab, dass es spätestens morgen an Heiligabend so viel wie seit Jahren nicht mehr schneien würde. Dies war sie ihm wirklich schuldig. Sie geleitete Franz zurück zum Eingangsportal. Froh kehrte Franz zurück ins Dorf.

Die Fee hielt ihr Wort und es schneite wirklich so stark, wie sie es versprochen hatte. Es war so, wie Franz es sich schon lange erträumt hatte und er verbrachte einen unvergesslichen Heiligabend mit seiner Mutter. Hier endet auch das Märchen von Franz und der kleinen Schneefee“, beendete auch Daniels Großmutter ihre Erzählung und Daniel schlief vollkommen müde und glücklich vor dem warmen Kaminfeuer ein.