Die Josefstadt als europäische Wiege der Sojabohne

1873 blickte die Welt nach Wien. Was zum großen Erfolg hätte werden sollen, endet jedoch im finanziellen Debakel. Trotz allem war die Wiener Weltausstellung in vielerlei Hinsicht ein Erfolg – so trat unter anderem die Sojabohne in Österreich ihre lange Reise auf unsere Teller an.

von Sandra Schäfer

Ende des 18. Jahrhunderts kamen von Frankreich ausgehend Gewerbeschauen in Mode. Sie sollten die Wirtschaft ankurbeln. Daran angelehnt sorgte Mitte des 19. Jahrhunderts ein neues Format für Aufsehen – die Weltausstellung, die 1851 zum ersten Mal in England, dem Mutterland der industriellen Revolution, organisiert wurde. Man wollte der Welt nicht nur zeigen, welch grandiose Erfindungen man zu bieten hatte, sondern die Veranstaltung zudem als Motor für weitere Entwicklungen nutzen. Bald nach der „Great Exhibition“ kam auch in der k.k. Monarchie der Wunsch auf, sich mit anderen im Welthandel aktiven Ländern zu messen und sich als Größe auf dem Weltmarkt zu präsentieren. Die Wiener Weltausstellung 1873 war nach je zwei Ausstellungen in Frankreich und England die erste auf deutschsprachigem Boden. Anders als in England, wo die industrielle Entwicklung im Mittelpunkt stand, legte man in Wien einen starken Fokus auf Kultur, Bildung und Landwirtschaft. Auch wenn die Ausstellung finanziell zum Debakel geriet – auf den Börsenkrach wenige Tage nach der Eröffnung folgte kurz darauf eine Choleraepidemie in Wien –, so sind bis heute zahlreiche Spuren in der Stadt erhalten. Nach wie vor sind auch Kunstobjekte, die bei der Weltausstellung angekauft wurden, in Museen zu bewundern, und Straßennamen wie Ausstellungsstraße oder Rotundenallee verweisen auf das ehemalige Großereignis.

Europäischer Soja-Pionier: Friedrich Haberlandt

Auch das Volkskundemuseum in der Josefstadt hat eine enge Verbindung zur Weltausstellung. 1885 als „Kaiser-Karl-Museum für österreichische Volkskunde“ gegründet, bezog es im Jahr 1917 das Palais Schönborn in der Laudongasse. Leiter des Museums war damals Michael Haberlandt. Sein Vater, Friedrich Haberlandt, fungierte als Professor und Rektor an der 1872 gegründeten Universität für Bodenkultur. Diese wurde nach dem Wegfall der „k.k. höheren landwirthschaftlichen Lehranstalt“ in Ungarisch-Altenburg (Mosonmagyarovar) in Wien angesiedelt. Von 1872 bis 1896 hatte die Hochschule ihren ersten Sitz im heutigen Volkskundemuseum.

Als Professor für Pflanzenbaulehre galt das Augenmerk Haberlandts vor allem Pflanzen, die geeignet erschienen, die Volksversorgung in der Monarchie sicherzustellen. Bei seinem Besuch auf der Weltausstellung hatte Haberlandt in den Länderpräsentationen von China und Japan (das sich erstmals prominent im Westen präsentierte und für große Begeisterung sorgte) eine, wie er 1877 in einem von ihm herausgegebenen Informationsblatt schrieb, „größere Anzahl verschiedener Varietäten der Sojabohne, welche Theils aus der Mongolei und dem nördlichen China, aus Japan, Transkaukasien und Tunis stammten“, für Zuchtzwecke erwerben können. Bisherige Anbauversuche in Europa seien, so Haberlandt, vergeblich gewesen, doch er wagte sich an die Herausforderung. Zwei Jahre, nachdem er die Samen für die Lehrkanzlei des Pflanzenbaus angekauft hatte, begann er auf dem Gelände der heutigen Musikschulzentrale Ecke Skodagasse/Laudongasse im Versuchsgarten der BOKU mit dem Anbau. In den nächsten zwei Jahren konnten über zwölf Kilo Samen aus dem Josefstädter Anbaugebiet gewonnen werden, die in Folge zur weiteren Kultivierung in verschiedene Teile der Monarchie versandt wurden.

Collage: Soja Produkte und Friedrich Haberlandt

© Donau Soja; Volkskundemuseum/Fuxmagen

 

Langer Weg auf den Teller

Trotz erster Erfolge konnten sich Anbau und Produktion von Sojaprodukten zu jener Zeit nicht durchsetzen. Zum einen, weil die Bewegung nach dem überraschenden Tod von Haberlandt 1878 einen bedeutenden Fürsprecher verlor, und zum anderen, weil Soja nicht den Ess- und Geschmacksgewohnheiten der Bevölkerung entsprach. Die Situation veränderte sich erst durch die Mangeljahre nach dem Ersten Weltkrieg, als die Sojabohne aufgrund ihrer wertvollen Inhaltsstoffe (sie ist die eiweißreichste Feldfrucht) erneut auf dem Radar von Wissenschaft und Politik erschien. In den 20er-Jahren hatte der Lebensmitteltechniker Ladislaus Berczeller zudem ein Verfahren zur Entbitterung entwickelt. Wie schon unter Haberlandt, dem in Anlehnung an Polenta eine Art „Sojalenta“ zu erzeugen vorschwebte, gedachte man das getrocknete, zerriebene Soja zur Volksernährung einzusetzen. Doch auch damals fand Soja keinen wesentlichen Eingang in die heimische Küche. Lediglich in Form von Margarine und als Tierfutter konnte sich die Bohne in Europa behaupten. Ganz verschwand die Idee, Soja als preiswertes Nahrungsmittel für die Massen zu verwenden, jedoch nie. So gab es beispielsweise unter den Nationalsozialisten und auch nach dem Zweiten Weltkrieg Bestrebungen, die Bohne gezielt anzubauen.

„Vor allem in Krisensituationen flammte das Interesse an Soja immer wieder auf. Man hoffte, mit Soja und ihren vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten Versorgungsdefizite beheben zu können“, weiß Magdalena Puchberger. Als Kulturwissenschaftlerin betreut sie am Volkskundemuseum seit 2018 das Projekt „Soja. Wissen – Gesellschaft – Stadt“.

Seinen Anfang nahm das Soja-Projekt durch eine Anfrage des Vereins „Donau Soja“, eine Gedenktafel zu Friedrich Haberlandt am Museumsgebäude anzubringen. Auch wenn sich die Gedenktafel heute in der nahen Löwenburggasse an Haberlandts früherem Wohnhaus befindet, ist man in den vergangenen Jahren auch im Museum im Bereich Soja aktiv gewesen. Das Volkskundemuseum betreibt einen Sojablog und hat die Online-Ausstellung „muSOJAm“ erarbeitet. Zusätzlich wird ein eigens für die Dauerausstellung gestalteter Soja-Hörrundgang angeboten. Das Thema Soja ist für Puchberger vor allem deshalb interessant, weil es erlaube, viele unterschiedliche Geschichten zu erzählen und Zusammenhänge zu erforschen. Soja könne unter anderem dazu anregen, über „Lebensstile, Landwirtschaft, das Verhältnis von Stadt/Land und über regionale und globale Zusammenhänge“ nachzudenken. Passend zum 150. Jubiläum der Weltausstellung soll es zudem im Frühjahr eine kleine Ausstellung in der öffentlichen Passage des Museums geben. Im Vermittlungsgarten des Volkkundemuseums wird noch Soja angebaut.

Als Tofu hat Soja mit der zunehmenden vegetarischen und veganen Ernährung seinen Siegeszug auf unsere Teller angetreten. Aber auch als Dickungsmittel in Puddings oder in Brotaufstrichen findet sie unterschiedliche Anwendung.  In Österreich wird die Sojabohne mittlerweile im großen Stil angebaut – 85 Prozent der heimischen Sojaflächen befinden sich in Niederösterreich, dem Burgenland und Oberösterreich. 2022 betrug die Anbaufläche von Sojabohnen bereits 92.488 Hektar und ist somit die viertgrößte Ackerkultur nach Mais, Weizen und Gerste, bei Biobauern ist sie sogar schon auf Platz zwei.

www.volkskundemuseum.at
www.musojam.blog
www.soja.volkskundemuseum.at
www.audio.volkskundemuseum.at

 

RUNDGANG & EXPO

Wiener Soja­-Küche

Von Anfang an machte man sich Gedanken über den richtigen Einsatz von Soja in der heimischen Küche. Ab den 1920ern bewarb der am Wiener Physiologischen Institut tätige Ernst Kupelwieser in der Presse sein in Schwechat hergestelltes „Edelsoja“. An der Zentrallehranstalt für wirtschaftliche Frauenberufe wurden damit Rezepte ausgearbeitet – jedoch mit wenig Erfolg.

In der Nachkriegszeit machte sich vor allem Friedl Brillmayer, die Ehefrau des Soja-Anbau-Pioniers F. A. Brillmayer, um die Sojaküche verdient. Gemeinsam mit Henriette Cornides brachte sie 1948 das erste Soja-Kochbuch Österreichs heraus, die „Wiener Soja-Küche“. Bei den Rezepten handelt es sich durchwegs um Traditionelles, angereichert oder ersetzt durch Soja: vom Soja-Vanillekipferl über Soja-Apfelstrudel bis hin zum Soja-Backhendl.

www.volkskundemuseum.at/soja

Bezirksrundgang: 150 Jahre Weltausstellung

„derAchte“ begibt sich mit einer Führung auf die Spuren der Weltausstellung 1873 im Bezirk und darüber hinaus. Als DAS Großereignis ihrer Zeit hatte sie für jeden Geschmack etwas zu bieten und sorgte für so manches Spektakel. Vor allem aber stand sie im Zeichen des Glaubens der bürgerlichen Gesellschaft an Technik und Fortschritt. Mit dem Börsenkrach erlebte dieser einen tiefen Einbruch. Manch einer tanzte daraufhin zur „Krachpolka“, während andere den Freitod wählten. Auf diesem rund zweistündigen Spaziergang begeben wir uns von der Josefstadt über den Ring auf das ehemalige Gelände der Ausstellung in den Prater. 150 Jahre nach der Weltausstellung führt Kultourfüchsin Sandra Schäfer Sie zu deren Spuren.

Termin: 5/Mai/2023, 16.30h.
Anmeldung: office@derachte.at
Für „derAchte“ #freundschaft- und #supreme-Abonnent:innen
ist die Teilnahme gratis. Kinder bis 16 Jahren gratis.