Figaro, Figaro, Figaro …

„Der Barbier von Sevilla“ von Rossini erfreut sich seit über 200 Jahren größter Beliebtheit. Ebenso „Die Hochzeit des Figaro“ von Wolfgang Amadeus Mozart, die am 1. Mai 1786 am Burgtheater ihre Uraufführung hatte. Rund hundert Jahre zuvor, 1678, wurde in Wien die bürgerliche Innung der Barbiere gegründet. Die Bezeichnung Friseur kam erst im 19. Jahrhundert auf.

Von Helmut Pokornig

Der Josefstadt wird nachgesagt, dass es hier beson-ders viele Friseursalons gibt. Laut unseren Recherchen zählt sie über 40 Friseurgeschäfte. Die meisten sind neueren Datums, es gibt aber auch einige wenige, die Zeiten und Moden überdauert haben. „derAchte“ hat drei davon besucht und viel erfahren – etwa, welcher Josefstädter Haarkünstler einst mit Filmstar Nadja Tiller auf dem Ball der Wiener Schauspieler das Tanzbein geschwungen hat.

Christine Endres
Damen-Herren-Friseur Endres, Piaristengasse 2

Friseurmeisterin Christine Endres empfängt ihre Kundschaft in einem der am längsten existierenden Frisiersalons der Josefstadt. Gegründet wurde er von ihrem Großonkel Martin Endres, der 1882 im damals ungarischen Klek geboren wurde. 1898 übersiedelte der Donauschwabe nach Wien, ließ sich im Damenfach weiterbilden und arbeitete sechs Jahre als Gehilfe. 1912 eröffnete er im Erdgeschoß eines neu errichteten Gebäudes in der Piaristengasse ein „Spezialdamengeschäft“. Teile der von Adolf Loos gestalteten Einrichtung befinden sich noch heute im Lokal und auch das seinerzeit eingeführte Kabinensystem wurde bis heute beibehalten. Seitlich angebrachte Vorhänge gewähren der Kundschaft etwas Privatsphäre. Diese Praxis habe sich stets bestens bewährt und sei in Zeiten von Corona ein Hit, wie die jetzige Inhaberin versichert. Ihr Großonkel Martin Endres führte das Lokal mit großem Erfolg. Etliche Mitglieder ihrer Familie, berichtet Christine Endres, wurden Friseure, nicht wenige in Wien. So gab es zeitweise in den verschiedenen Bezirken der Stadt fünf Salons mit dem Namen Endres.

Der Krieg. 1944 kam es zum ersten direkten Bombenangriff auf Wien. Eine der Bomben schlug in den Melkerhof ein und tötete den 62-jährigen Friseur. Christine Endres’ Vater Wilhelm übernahm mit seiner Frau Elisabeth den Salon. Er führte ihn durch die letzten Kriegsmonate und trotzte Bomben und Stromausfällen.

Collage: linkes Bild zeigt eine ältere Dame, die an einem Friseursessel steht, am Frisiertisch steht Blumendekor. Rechtes Bild: Haarschneidscheren, Kamm und Pinsel auf einem stummen Diener liegend von oben fotografiert

Teile der von Adolf Loos gestalteten Einrichtung befinden sich noch heute in Christine Endres Salon © Helmut Pokornig

Ausbildung. In den 60er-Jahren trat Christine Endres mit 17 Jahren als Lehrling in das elterliche Friseurgeschäft ein. 1970 absolvierte sie die Gesellenprüfung und ein Jahr später bestand sie die Meisterprüfung mit Erfolg.
Zur Kundschaft des Salons zählten die Eltern und die Großmutter von Oskar Werner, Politikerinnen wie Ingrid Leodolter und Hertha Firnberg, der Autor Milo Dor und zahlreiche Schauspieler:innen der Josefstadt: Christine Böhm, Erich Nikowitz und weitere Darsteller:innen der Fernsehfamilie Leitner kamen ebenso in den Salon wie Burgschauspieler Peter Schratt, der Großneffe der Kaiser-Geliebten Katharina Schratt.
Die Hausbesuche, die bereits bei der Geschäftsgründung ins Leben gerufen wurden, führt Christine Endres auch heute noch durch. Meist sind es Stammkunden, denen es im Winter schwerfällt, in den Salon zu kommen. Nach dem Tod ihres Vaters übernahm sie das Geschäft. Sie sei zufrieden, erklärt Frau Endres: „Es plätschert schön dahin. Was wollen wir mehr?“

Werner Jost
Salon Jost, Josefstädter Straße 54

Werner Jost wurde am 5. Mai 1939 in München geboren. Sein Vater fiel 1941 im Krieg. Anfang 1945 beschloss seine Mutter, München zu verlassen, und machte sich mit ihrem Sohn auf nach Schladming.

Auf dem Weg in die weite Welt. Nach dem Abschluss der Schule hätte Werner Jost gerne studiert – Architektur, wie sein Vater! Die Salzburger Mittelschule war aber zu weit entfernt. Der neue Lebensgefährte seiner Mutter hatte ein Friseurgeschäft in Schladming. In den Sommerferien half der junge Werner dort immer aus und stellte sich gut an, also lernte er Friseur. In einem Salzburger Friseursalon wurde er genommen und begann bei Leopoldine „Poldi“ Mayr eine Lehre. Der Salon wurde von vielen Künstler:innen der Festspiele besucht.

Im Herzen des mondänen Paris. Viele Kund:innen in Poldi Mayrs Salon schwärmten ihm von Paris vor, also beschloss er, sich in der Stadt an der Seine nach einer Stelle umzusehen. In der Rue de Faubourg Saint Honoré führten die Schwestern Maria und Rosy Carita ihren Salon, in einem Palais, das vormals dem Perückenmacher von Marie Antoinette gehörte. Jost sprach bei ihnen vor und wurde angestellt. Die Carita-Schwestern kreierten Brigitte Bardots Pferdeschwanz, Jean Sebergs Haarschnitt und Catherine Deneuves Blond. Mireille Darc, Françoise Sagan und Annie Girardot waren ihre Kundinnen.

In die Josefstadt. Aus familiären Gründen kehrte Werner Jost nach Österreich zurück, um schlussendlich nach Wien zu gehen. Seine Cousine war mit einem Arzt in der Taborstraße verheiratet, der öfter von einem Nervenarzt Besuch erhielt, der auch Schauspieler war: Gunther Philipp. Philipp war mit der dreifachen Friseur-Weltmeisterin Louise Rick befreundet und schickte den jungen Jost zu ihrem Salon in die Josefstädter Straße.
Die Straße war dunkel, alles andere als schön, erinnert sich Werner Jost: „Aber als ich die Tür aufmachte und in den Salon trat, kam mir ein blonder Engel entgegen und begrüßte mich freundlich: Louise Rick.“ Bei ihr blieb er sieben Jahre. Zur Kundschaft zählten viele Künstler:innen des Theaters an der Josefstadt: Susanne von Almassy, Leopold Rudolf, Paula Wessely, Gertraud Jesserer, Senta Berger, Hans Moser, Helmuth Lohner, Oskar Werner und gelegentlich erschien auch Romy Schneider im Salon.
Werner Jost hatte das Glück, zu Premieren, Theater-Vorstellungen, Festen und Feiern der Wiener Hautevolee eingeladen zu werden. Mit Filmstar Nadja Tiller tanzte er auf dem Ball der Wiener Schauspieler den ersten Twist seines Lebens.

Der erste Salon. 1967 machte er sich mit einem kleinen Salon in der Lerchenfelder Straße selbstständig. Mitarbeiter:innen des ORF kamen zu ihm: Eva Maria Klinger, Annemarie Berté. Er erarbeitete sich den Ruf eines Prominentenfriseurs. Große Firmen wurden auf ihn aufmerksam und schickten ihn nach England zum Schaufrisieren. Die Österreicher:innen zeigten Ballfrisuren und vermittelten das Wiener Flair. Das Kosmetikunternehmen Wella engagierte ihn für seine Shows. So kam er als Schaufriseur nach Italien und Amerika, war in Japan, China und Korea. Mit dem erarbeiteten Geld richtete er sich in der Josefstadt einen neuen Salon ein, seinen „Luxusschuppen“, wie er ihn nennt, mit vielen Spiegeln.
1982 heiratete er. Seine spätere Gattin, die aus der Josefstadt stammte, kannte er schon lange. Er machte ihre Maturafrisur, die Promotionsfrisur, die Frisur ihrer ersten Hochzeit. Sie wurde Ärztin und traf ihn nach ihrer Scheidung wieder, bald darauf heirateten die beiden. Dieses Jahr ist sie verstorben.
Der 83-jährige Witwer steht noch immer beinahe jeden Tag in seinem Salon, kümmert sich um seine Kundschaft und schaut, so sagt er, „dass der Laden läuft“.

Collage: auf dem linken Bild ein Mann mittleren Alters in grauer Jeans und blauem, geblümtem Hemd. Er steht neben einem Glasschrank, der mit Kosmetikprodukten gefüllt ist. Am rechten Bild ein älterer Herr mit weißem Haar. Er lehnt an einer halbgeöffneten Glastür, hinter ihm das Innere eines verspiegelten Raumes.

Links: Schon als kleiner Bub stand Andreas Manfred Wurzel im väterlichen Betrieb. Rechts: Promifriseur Werner Jost steht seit 1970 in seinem „Luxusschuppen“. © Helmut Pokornig

Andreas Manfred Wurzel
Frisiersalon Fred, Kochgasse 30

Gegründet wurde der Salon von Andreas Manfred Wurzels Vater Fred. Dieser wurde 1939 in Südmähren geboren und war sechs Jahre alt, als er 1945 mit seinem Vater auf dem Dach eines Autos kauerte. Im Auto saß seine Mutter mit seinem kleinen Bruder, am Steuer ein russischer Soldat. Von den Tschechen zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen, wurden sie nach Wien gebracht, wo die Mutter einen Bruder hatte. Fred Wurzels Vater, zuvor Maskenbildner am Brünner Stadttheater, fand bei der „Wien-Film“ eine Anstellung. Er arbeitete unter anderem an den Filmen „Der dritte Mann“, „Hallo Dienstmann“ und dem Antikriegsfilm „Die Brücke“ mit. Sein Sohn Fred wuchs mit der Arbeit seines Vaters auf, der ihn ebenfalls zum Film bringen wollte. Wenn er aber einen Bart oder dergleichen zum Set brachte und sein Vater den kleinen Sohn stolz den Damen vorstellte, sei er immer abgebusselt worden, was ihm äußerst unangenehm war. Deshalb, so behauptet er, habe er lieber Friseur gelernt.
1954 begann er eine Lehre, die er im ersten Bezirk absolvierte. Nach dem Präsenzdienst wechselte er in den „Salon Rame“, der von zwei Kompagnons – Herrn Melkus und Herrn Raschke – geführt wurde. Herr Melkus bot ihm bald an, sein Geschäft in der Lederergasse zu leiten. Er blieb dort fünfeinhalb Jahre lang Geschäftsführer, nahm 1964 einen Kredit auf und machte sich in der Kochgasse selbstständig. Von den rund 200 Kund:innen, die er in der Lederergasse betreut hatte, folgte ihm ein großer Teil in sein neues Lokal, wo er noch hundert weitere dazugewann. Mit lediglich vier Plätzen war der Salon für einen solchen Kundenansturm jedoch zu klein und so mietete Fred Wurzel 1966 einen Nebenraum und vergrößerte das Lokal.

Der Lauf der Zeit. Schon als kleiner Bub sei er immer wieder im Betrieb seines Vaters aufgetaucht und habe geholfen, die Lockenwickler abzunehmen, erzählt Andreas Manfred Wurzel. Bis Mitte der 90er-Jahre war viel los, dann wurde es weniger, bedauert er. Heutzutage gingen die jungen Leute ein oder zwei Mal im Jahr zum Haareschneiden. Frisuren gebe es keine mehr.
Sein Vater und er hätten mit dem Gedanken gespielt umzubauen, erzählt er, mittlerweile aber sei der Salon schon wieder retro. Also ließen sie alles, wie es ist.
Nach dem Tod seines Vaters vor zwei Jahren hat Andreas Manfred Wurzel den Salon übernommen und arbeitet seitdem allein. Nach Geschäftsschluss führt er bei älteren Stammkunden Hausbesuche durch. Denn nicht alle von ihnen sind so mobil wie Frau Frigo, die im Nebenraum unter der Trockenhaube sitzt und in einer Zeitschrift blättert. Sie kommt jede Woche aus Grinzing in den Frisiersalon. Seit 62 Jahren.

Ausgabe 04/2022