Tatort Josefstadt

Ein Freitag Mittag in der Josefstadt. Die zierliche Frau in bunten Sneakers kommt lässig im Klapp-Scooter ins Café angefahren. Astrid Sodomka wählt einen Sitzplatz, so dass sie auch die Straße im Blick hat, lehnt sich zurück auf dem Stuhl und bestellt einen Cappuccino. Wir reden über ihren Debütroman „Josefstadt“ und auch über ihre Schwäche für Sätze im Konjunktiv.

von Türkan Köksal

Ein hochpolitisch aufgeladenes Thema findet auf dramatische Art und Weise ihren Schauplatz hinter den perfekten Fassaden der gutbürgerlichen Josefstadt. Die Ausgangslage ist schnell erzählt: Mord am helllichten Tag während einer Kindergeburtstagsparty auf der schicken Terrasse einer „Bobo-Familie“. Die Leiche ist kein Unbekannter: Der Kindergartenassistent aus Afghanistan. Wer hat ihn auf dem Gewissen? Mit jeder Seite bei der Chef-Inspektor die Causa durchleuchtet, kommen immer mehr Ungereimtheiten im Eigenleben der Charaktere zum Vorschein. Akteure sowie Phänomene des Zeitgeists wie Künstler, Insta-Moms, Bio-Lebensmittel Fanatismus, Fake-News und Rechtsextremismus finden ebenfalls Eingang in das Geschehen. Astrid Sodomka nimmt mit ihrer Persiflage, den Elterntyp, der einen Hang zum Gutmenschentum pflegt, dessen Kinder auf Namen wie Lenz, Emilia, Joseph oder Freya hören und der sich tagelang mit der richtigen Wahl einer Jausenbox für den Nachwuchs beschäftigen kann, aufs Korn. Mit ihrer spitzen Feder macht sie auch vor dem Charakter keinen Halt, dem sie eigene Persönlichkeitsanteile zugeschrieben hat.

Wie kamen Sie auf die Idee, einen Kriminalroman über die Josefstadt zu schreiben?

Ich habe früher oft Krimis gelesen. Außerdem bin ich Tatort-Fan. Von daher war das Genre naheliegend. Die Geburtsstunde des Romans ist auf den Herbst 2015, dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, zurückzuführen. Im ehemaligen KURIER-Haus in der Lindengasse, im siebten Bezirk, waren Flüchtlinge untergebracht. Das war um die Ecke von unserer elterngeführten Kindergruppe. Im Rahmen eines Elternabends von meinem zweitältesten Sohn, entstand eine denkwürdige Diskussion als die Pädagoginnen im Namen der Gruppe sich bereit erklärten, etwas Gutes tun zu wollen. Es ging um die einfache Frage: Wie wollen wir diesen Menschen helfen? Die Initiative hatte bei einer Mutter massive Ablehnung ausgelöst. Es ging nicht um das Wie, sondern um das Ob. Mit so einer Haltung, hatte ich in diesem Umfeld überhaupt nicht gerechnet.

Als ehemalige Josefstädterin sind Parallelen zu Ihren Lebensabschnitten klar erkennbar. Wie viel ist wirklich Realität und wie viel Fiktion?

Meine Eltern hatten in der Florianigasse gelebt. Ich bin in der Josefstadt aufgewachsen; habe schöne Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend im Radius vom Hamerling- oder Schönbornpark. Noch heute träume ich von der elterlichen Wohnung. Und ja, ich bin selbst Mutter. Die Freuden und Strapazen der Kindererziehung, das soziale Gefüge und die Ko-Abhängigkeiten von jungen Familien untereinander, sind mir vertraut. Die Basis der Geschichte ist real und zum Teil autobiographisch. Aber sie ist überzeichnet und lässt sich durchgehend mit einem Augenzwinkern lesen. Einige der Charaktere des Romans haben zwar Vorbilder im wahren Leben, sind aber verfremdet. Das offensichtlich fiktionalste Element ist der Mordfall.

Ihr Debüt besteht aus 463 Seiten. Wie lange haben Sie an dem Buch gesessen und wie schwer ist es Ihnen gefallen es zu schreiben?

Insgesamt habe ich mit Unterbrechungen ungefähr eineinhalb Jahre gebraucht, um das Buchprojekt abzuschließen. Das Schreiben ist mir tatsächlich leicht von der Hand gegangen und hat Spaß gemacht. Es hat gut getan die Gedanken retrospektiv im Zusammenhang mit der besagten Diskussion niederzuschreiben, den Konflikt in alle Richtungen wachsen zu lassen und dabei die Perspektiven zu wechseln. Die Recherche dabei hat meinen Blick für Zusammenhänge sensibilisiert. Ich konnte mich in Themen einlesen, die mich schon länger interessiert hatten, wie zum Beispiel der Job bei der KRIPO, Waldorf-Pädagogik oder die Organisationsstrukturen von den Neuen Rechten. Das Zeitintensive an der Geschichte waren die Überlegungen zum Aufbau, Tiefe der Figuren und das aufeinander Abstimmen der Erzählstränge.

Mögen Sie Ihre Figuren?

Oh, ja! Ich glaube es ist nicht schwer zu erkennen, welche Figuren es den Leser:innen einfach machen sich mit ihnen zu solidarisieren oder ins Herzen zu schließen. Dann gibt es auch die, mit denen man hadert und sogar ablehnt, die aber die Geschichte entscheidend mittragen. Die Frau vom Inspektor, Karin, ist cool, pragmatisch veranlagt und denkt oft über ihre vermeintlichen Schwächen nach. Sie mag ich am liebsten.

Sie sind freischaffende Künstlerin und Lehrerin. Wie inspiriert Ihre Arbeit das Schreiben?

Selbst wenn irgendwo eine Kastanie liegt, geht von ihr eine Inspirationskraft aus. Ich finde der Alltag an sich gibt schon reichlich Stoff her. Die Menschen sind interessant – ich liebe es zu beobachten, wie sie leben, wie sie etwas sagen und was das mit dem Gegenüber macht. Wohnungen sind auch faszinierende Orte und verraten einiges über die Bewohner:innen. Geschrieben habe ich bereits im Rahmen meiner künstlerischen Arbeiten, sei es Untertitel für Videos oder Hörtexte. Deshalb betrachte ich das Schreiben als eine Art Medienwechsel für mich.

Haben Sie literarische Vorbilder?

Vorbild ist ein großes Wort. Jeder Mensch kann von jemand anderem etwas lernen. Katrin Röggla beeindruckt mich damit, dass sie die Äußerungen ihrer namenlosen Protagonisten im Konjunktiv der indirekten Rede wiedergibt. Übrigens, diese Technik habe ich mal beim Protokollieren während eines Elternabends angewendet. Zwischen den Zeilen schwingt dann immer etwas absurd Komisches.

Wie war die Reaktion der Anwesenden?

Ich habe es nicht abgeschickt. Das Schöne am Konjunktiv ist ja, dass er latent daherkommt, wenn es darum geht Differenzen sichtbar zu machen. Ein Protokoll wiederum verlangt eine knappe, neutrale und sachliche Wiedergabe der Inhalte.

Und wie sind die Menschen damit umgegangen als sie sich in Ihrem Roman wieder erkannt haben?

Es sind nur wenige, die sich dessen bewusst sind. Da greift die Schere zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Aber bislang hat mir noch niemand die Freundschaft gekündigt (lacht).

Wenn Sie eine Romanfigur auswählen könnten – wen würden Sie ins Leben erwecken und zum Tee treffen?

Elli Link und Margarete Bende aus Alfred Döblins „Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord“. Die Handlung und Figuren gehen auf einen historischen Fall zurück, es sind also nicht nur oder nicht reine Romanfiguren.

Welches Buch haben Sie zuletzt verschenkt?

Ein Buch als Geschenk fordert von dem Beschenkten jede Menge Zeit ein. Darum verschenke ich keins und beschenke mich selbst. Zuletzt habe ich Hannas Regen von Susanne Kreller gelesen. Ein außergewöhnliches Jugendbuch.

Es wäre spannend zu lesen, wie sich das Leben der Hinterbliebenen nach dem Abschluss des Kriminalfalls gestaltet. Überlegen Sie eine Fortsetzung des Romans zu erarbeiten?

Dazu habe ich mir in Wahrheit keine Gedanken gemacht. Mittlerweile geht auch nur noch mein Mann zu den Elternabenden (lacht).

Astrid Sodomka

Die gebürtige Wienerin, 41 Jahre alt, interessiert sich seit ihrer Jugend für kreative Prozesse. Nachdem sie laut eigenen Aussagen das nötige Selbstvertrauen für eine akademische Befassung mit dem Fach Kunst aufgebaut hatte, führte ihr Weg an die Universität für angewandte Kunst in Wien, um bei niemand geringerem als Brigitte Kowanz, Transmediale Kunst, zu studieren. Neben ihren Engagements als freischaffende Künstlerin mit dem Fokus auf Performance, unterrichtet sie an einer AHS Deutsch und Bildnerische Erziehung. Darüber hinaus bietet sie Kindern und Jugendlichen Workshops an, um ihnen einen niederschwelligen Zugang für künstlerische Aktivitäten zu ermöglichen. Als dreifache Mutter schupft sie noch den Familienalltag mit Ehemann und drei Söhnen im Alter vom Teenager bis Vorschulkind, nebst einem Germanistikstudium. Entspannung findet Sie beim Schreiben, Genuss von Schokolade und bei den seltenen Momenten, ihre Wohnung ganz allein für sich zu haben. Sie schöpft auch viel Kraft aus ihrer Familie, ihrem Humor und einer vernünftigen Distanz zu Menschen, die sich dadurch bemerkbar machen keinen zu besitzen.