Zwischen Recht und Realität

Alle Menschen sind gleich. Oder nicht? Seit 1979 hat Österreich ein Gleichbehandlungsgesetz. Es regelt, dass im Arbeits- und Geschäftsalltag die gleiche Behandlung aller Menschen gewährleistet und Diskriminierung rechtswidrig ist.

von Nadja Riahi

Die Realität sieht jedoch anders aus, denn es werden noch lange nicht alle Menschen im Alltagsleben gleichbehandelt. Vor 30 Jahren wurde die Gleichbehandlungsanwaltschaft gegründet: eine Institution, die als Anlaufstelle für Opfer von Diskriminierung auftritt, diese berät und begleitet. „Anlässlich unseres Jubiläums haben wir uns dazu entschieden, eine Ausstellung zusammenzustellen, um unsere Arbeit nach draußen zu tragen“, sagt Sandra Konstatzky, Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft. Die Ausstellung „Jetzt im Recht! Wege zur Gleichbehandlung“ ist bis 1. Mai 2022 in der Josefstadt zu sehen.

„Für uns war klar, dass wir mit dem Volkskundemuseum in der Josefstadt zusammenarbeiten wollen, weil das Museum sehr präsent ist, wenn es um politische Themen geht. Und sie haben sehr schnell Ja gesagt“, so Konstatzky. „Es war gleich spürbar, dass die Energie des Volkskundemuseums zu unserer passt.“ Johanna Zechner, eine der drei Kurator:innen neben Vanessa Spanbauer und Niko Wahl, sieht das genauso: „Es ist ein Ort des Austauschs.“ „Bei der Ausstellung ‚Jetzt im Recht!‘ geht es zwar auch um die Geschichte der Gleichbehandlungsanwaltschaft, im Fokus stehen jedoch die Menschen, die sich an diese Stelle wenden, und die Arbeit der Gleichbehandlungsanwält:innen“, sagt Zechner.

Da es sich bei den vorhandenen Materialien um sensible Fälle und Akten handelt, die geschwärzt wurden, sind Zechner und ihre Kolleg:innen auf die Idee gekommen, mit Comics zu arbeiten. „Wir haben uns für Büke Schwarz entschieden, eine Comic- Zeichnerin aus Berlin. Sie hat das vorhandene Material mit fiktiven Geschichten ergänzt“, erzählt Zechner.

Die Stationen, in die sich die Ausstellung gliedert, laufen von der ersten Kontaktaufnahme über die Beratung, die Vertretung vor Gericht und den Ausgang des Verfahrens bis zur Zeit danach. Es ist ein breites Spektrum. „Manche Klient:innen scheitern oder geben auf. Immerhin ist so ein Prozess eine schwer belastende Situation“, sagt Konstatzky. Die Comics ermöglichen dabei einen persönlichen Zugang zu den Themen, der jedoch zeigt, dass es sich nicht um Einzelschicksale handelt. Ein weiterer Teil der Ausstellung sind Interviews mit Betroffenen und Anwält:innen. „Hier erzählen Betroffene, die mit der Gleichbehandlungsanwaltschaft in Kontakt waren, in kurzen Ausschnitten über ihre Erfahrungen“, sagt Zechner.

Die Ausstellung beginnt schon im Stiegenaufgang und soll Besucher:innen gleich in das Thema hineinziehen. „Wir starten mit Comics mit noch leeren Sprechblasen, die einerseits die Ausstellung ankündigen und andererseits zum Nachdenken anregen. Wir fragen uns, wer diese Person ist, die diskriminiert wurde“, erzählt Johanna Zechner über die Konzeption der Ausstellung. Und weiter: „Wir wünschen uns, dass sich die Zuschauer:innen Gedanken machen, wenn sie die Bilder sehen und die Geschichten dazu lesen. Dass ihnen klar wird, dass wir als Menschen nicht nur eine Prägung haben, sondern dass unterschiedliche Perspektiven beim Thema Gleichstellung eine Rolle spielen. Die Ausstellung arbeitet das eindrucksvoll heraus, es sind ganz viele Ebenen drinnen. Die/der eine oder andere wird sich danach denken: ‚Oh, eigentlich habe ich auch mal eine Diskriminierung beobachtet und nichts gemacht‘“, sagt Zechner.

Doch was heißt Gleichbehandlung eigentlich? „Gleichbehandlung bedeutet, dass niemand wegen eines Merkmals wie etwa Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit oder religiösem Bekenntnis, schlechter behandelt wird. Gleichstellung geht darüber hinaus. Wir versuchen, die Gesellschaft so zu sensibilisieren und inklusiver zu machen, sodass sie auch marginalisierte Gruppen einlässt“, sagt Konstatzky. Gesetz und Realität passen dabei nicht immer zusammen. „Es gibt einfach noch viele Unzuständigkeiten und Lücken. Wir brauchen da das entsprechende Recht, erst dann setzen sich die Menschen damit auseinander. Aber: Viele (junge) Menschen wissen nicht, dass es uns gibt. Das soll sich jetzt ändern“, sagt Konstatzky abschließend.

Volkskundemuseum. 8., Laudongasse 15–19
Di–So 10–17h, Do 10–20h, www.volkskundemuseum.at

 

Collage aus 2 Bilden, links Regenbogenfahne, rechts 2 Frauen mit Urkunde

Jetzt im Recht!

Die Ausstellung „Jetzt im Recht! Wege zur Gleichbehandlung“ schafft mit einer Kombination aus Comicstrips, Interviews, Fotografien, Originaldokumenten und Rauminterventionen Einblicke, die es dem Publikum ermöglichen, unterschiedliche Blickwinkel nachzuvollziehen und dabei auch die eigenen Erfahrungswelten und Perspektiven zu hinterfragen. Kuratiert von Johanna Zechner, Vanessa Spanbauer, Niko Wahl. Eine Ausstellung der Gleichbehandlungsanwaltschaft gemeinsam mit dem Volkskundemuseum Wien.
▶Bis 01/05/2022. Volkskundemuseum, Laudongasse 15–19

 

Lebensrealität Schule

Unbedachte Bemerkungen und lustig gemeinte Kommentare: Wo beginnt Diskriminierung im Schulumfeld? Gerade Jugendliche in der Identitätsfindungsphase sind auf ein sensibles Umfeld und einen schützenden Rahmen angewiesen. Für Lehrkräfte ist es daher besonders wichtig, Diskriminierungen schon frühzeitig erkennen, um ihre Schüler:innen in diesem Prozess begleiten und angemessen unterstützen zu können. Der Workshop „Lebensrealität Schule – Identitätsfindung braucht diskriminierungsfreien
Raum“ unterstützt sie dabei. Mit Michael Kudler (HOSI Wien/FLAGincluded) und Agnes Zinnebner (Gleichbehandlungsanwaltschaft)
25/01/2022, 15–17h. Lebensrealität Schule – Identitätsfindung braucht diskriminierungsfreien Raum. Volkskundemuseum

 

30 Jahre GAW

Anlässlich des Frauentags sprechen drei Gleichbehandlungsanwältinnen über die Herausforderungen ihrer Arbeit und die Veränderungen der letzten drei Jahrzehnte und wagen gemeinsam einen Blick in die Zukunft. „30 Jahre GAW – Gleichbehandlungsanwältinnen über ihre Arbeit in den letzten drei
Jahrzehnten und die Herausforderungen in der Zukunft“: mit Ingrid Nikolay-Leitner, erste Gleichbehandlungsanwältin, Sandra Konstatzky, derzeit Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft, und Flora Alvarado-Dupuy, Gleichbehandlungsanwältin.


▶ 10/03/2022, 19h. 30 Jahre GAW – Gleichbehandlungsanwältinnen über ihre Arbeit in den letzten drei Jahrzehnten und die Herausforderungen in der Zukunft. Volkskundemuseum Wien

 

Nachlese

Zur Ausstellung „Vor Schand und Noth gerettet?! – Findelhaus, Gebäranstalt und die Matriken der Alser Vorstadt“ im Bezirksmuseum Josefstadt ist eine gleichnamige Publikation erschienen. 17 Autor:innen geben darin Einblicke in die Geschichte der ehemaligen Institutionen im heutigen 8. und 9. Bezirk und thematisieren deren geschlechter-, medizin- und gesellschaftshistorische Relevanz bis heute.


▶ Das Buch ist um 25 Euro im Bezirksmuseum Josefstadt (8., Schmidgasse 8) oder via Bestellung per Mail (bm1080@bezirksmuseum.at; + 2 Euro Versandkosten) erhältlich. Die Ausstellung kann noch bis 30. März 2022 besucht werden.

 

 


Ausgabe 04/2021