Ich habe immer schon gezeichnet

Mit der berühmten Kinderbuchautorin Mira Lobe machte Winfried Opgenoorth neun Bücher, insgesamt hat er über 70 Werke vor allem von österreichischen Autor:innen illustriert.

Von Silke Rabus

Dem seit bald 50 Jahren im Achten lebenden und arbeitenden Grafiker und Illustrator ist zudem die Vernetzung der Kinderbuchszene in Wien ein wichtiges Anliegen.

Es ist ein kleines Paradies, in das Winfried Opgenoorth von seinem Schreibtisch aus blickt. Durch das Fenster seiner winzigen Arbeitswohnung, die ebenerdig in einem Hinterhaus in der Lange Gasse liegt, sieht er mitten hinein in einen verwunschenen Garten. In den hohen Bäumen fliegen die Meisen und im Sommer verschwinden die umliegenden Häuser im dichten Grün. Diesen stillen Ort teilt sich der 1939 in Düsseldorf geborene Illustrator seit vielen Jahren mit der Kinderbuchautorin Christine Rettl. Sie schreibt vor dem rechten Fenster, er zeichnet vor dem linken, dazwischen drängen sich Regale mit Büchern und Skulpturen.

„Wir leben einfach und bescheiden“, sagt der 82-jährige Künstler. „Und doch komme ich mir manchmal vor wie ein König.“ Er genießt nicht nur die hohe Wohnqualität in der Josefstadt und die Nähe zum ersten Bezirk, er schätzt auch das kleine Café in der Gasse und den Biomarkt an den Samstagen direkt vor der Haustür. „Die Josefstadt ist gediegen, die Menschen sind angenehm, der Bezirk hat eine gute Atmosphäre. Ich fühle mich hier sehr wohl.“

Bäume, Häuser und brennende Flugzeuge

„Ich habe immer schon gezeichnet“, erzählt Winfried Opgenoorth weiter, während er in einer Skizzenmappe blättert. „Mein Vater scharte Kinder um sich und dann gingen wir hinaus und zeichneten Bäume, Landschaften und Häuser, in den Kriegsjahren manchmal auch ein brennendes Flugzeug.“ Als er später einen Beruf suchte, in dem er sein künstlerisches Talent beweisen konnte, fand sein Vater für ihn eine Lehrstelle in einer Druckerei. Winfried Opgenoorth machte dort eine Ausbildung als Tiefdruckretuscheur und studierte anschließend Grafik an der Werkkunstschule in Düsseldorf.

Es folgten Anstellungen als Pressezeichner, Reinzeichner und Grafiker, etwa in einer Glasveredelungsfabrik oder einer Werbeagentur. „Von irgendetwas musste ich ja leben“, sagt Winfried Opgenoorth, der schon damals lieber Illustrator geworden wäre und in jeder freien Minute zeichnete. Die Tätigkeit in einem Schweizer Glückwunschkartenverlag lag ihm da schon mehr. In diesen zwei Jahren entstand auch eine Reihe verfremdeter Stadtansichten in Öl. Überhaupt arbeitete er immer wieder frei. Seine surrealen Buntstiftbilder, die er in den letzten Jahren ausstellte, lassen sich am ehesten in der Tradition des Wiener Phantastischen Realismus verorten.

Die erste Bilderbuchidee

1972 übersiedelte Winfried Opgenoorth nach Wien und machte sich als freischaffender Grafiker selbstständig. Schon bald versuchte er, in einem Kinderbuchverlag unterzukommen. „Endlich kamen Aufträge für Bücher“, erinnert er sich an seine Bewerbung beim Verlag Jugend & Volk. „Den für Kinderbücher zuständigen Lektor habe ich allerdings nicht angetroffen, stattdessen wurde ich gefragt, ob ich nicht ein Schulbuch illustrieren möchte.“ So kam es, dass Winfried Opgenoorth in den folgenden Jahren vermehrt in der Schulbuchillustration tätig war.

„Und dann hatte ich eines Tages die Idee zu meinem ersten Bilderbuch.“ Ein Haus, das mitten in der Nacht zum Leben erwacht, zeichnete er mit Buntstiften und reimte dazu einen Text. Mit dem fast fertigen Buch reiste er nach München und bekam von der Leiterin des Ellermann Verlags eine Zusage – allerdings nur für die Illustrationen. Für den Text schlug man ihm die österreichische Autorin Mira Lobe vor. „Hätte ich gewusst, wer Mira Lobe ist, hätte ich vielleicht gar nicht gewagt, sie anzurufen“, erzählt der Wahlwiener, der die Schöpferin der „Omama im Apfelbaum“ und des Bilderbuchs „Das kleine Ich bin ich“ damals noch nicht kannte.

Lange Abende mit Mira Lobe

„Wir trafen uns dann in einem Kaffeehaus. Mira Lobe war sehr freundlich, schaute sich meine Illustrationen an und wollte die Texte schreiben.“ So erschien 1979 sein erstes Buch „Hokuspokus in der Nacht“. Insgesamt entstanden neun Bilderbücher, für deren Ideen mal Winfried Opgenoorth und mal Mira Lobe verantwortlich zeichnete. „Die Zusammenarbeit mit Mira Lobe war etwas Besonderes. Sie wohnte damals im Gemeindebau und wenn ich sie abends besuchte, stand sie oft noch in der Küche und kochte für uns. Dann aßen wir, redeten lange und erst kurz vor Mitternacht fingen wir an zu arbeiten“, erinnert sich der Künstler. „Die Arbeit als Illustrator ist oft sehr einsam. Normalerweise bekommt man einen Text vom Autor und dann setzt man sich hin und zeichnet. Aber mit ihr war es anders. Sie zeigte mir, was sie geschrieben hatte, dann machte ich Skizzen und darüber redeten wir wieder.“

Für das wohl erfolgreichste Buch der beiden, „Valerie und die Gute-Nacht-Schaukel“, lieferte Opgenoorths Tochter die Anregung. Als Mira Lobe eines Abends zu Besuch war, schaukelte das Mädchen zwischen zwei Zimmern hin und her und trug dabei verschiedene Hüte. „Mira Lobe war so entzückt davon, dass sie immer wieder sagte: ‚Da könnte ein Buch daraus werden!‘“, erzählt Winfried Opgenoorth. Noch mehr Aufmerksamkeit bekam das Bilderbuch, das 1981 bei Jungbrunnen erschien, durch die Bühnenfassung und Vertonung von Erich Meixner und die unzähligen Aufführungen der „Schmetterlinge“.

Gut vernetzte Kinderbuchszene

Mit Buntstift, Feder und Aquarell hat Winfried Opgenoorth insgesamt mehr als 70 Kinderbücher illustriert, die in rund 20 Sprachen übersetzt wurden. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Österreichischen Kunstpreis 2012. Zu seinen bekanntesten Werken zählt das 1985 erschienene und von Wolf Harranth verfasste Bilderbuch „Da ist eine wunderschöne Wiese“. Nach wie vor lieferbar, ist dieser Titel rund um das Thema Umweltzerstörung heute aktueller denn je.

Winfried Opgenoorth arbeitete im Laufe seines Lebens für viele Autor:innen – von Gerda Anger-Schmidt, Georg Bydlinski und Friedl Hofbauer über Christine Rettl, Marko Simsa und Lene Mayer-Skumanz bis hin zu Folke Tegetthoff und Heinz R. Unger. Immer wieder brachte er auch andere Kinderbuchmacher:innen zusammen. „In den 1980er-Jahren lud Käthe Recheis hin und wieder andere Autoren in ihre Wohnung ein“, erzählt er. „Später kam Gerda Anger-Schmidt auf die Idee, dass wir Kinderbuchmenschen uns ab und zu bei einem Heurigen treffen könnten. Doch ich wollte, dass wir monatlich zusammenkommen.“

So kam es, dass 1991 das erste Federhasentreffen stattfand. Seit nunmehr 30 Jahren treffen sich einmal im Monat Autor:innen und Illustrator:innen im Café Florianihof, um sich miteinander zu vernetzen. „Wer kommen will, der kann kommen“, so Winfried Opgenoorth: „Es geht gar nicht darum, fachzusimpeln. Man redet miteinander und wenn man ein neues Buchprojekt hat, kann man es herzeigen.“

Auch mit dem Kleinen Salon für Illustration, den die Autorin und Illustratorin Susanne Riha seit gut fünf Jahren in der Piaristengasse führt, ist Winfried Opgenoorth eng verbunden: „Der Kleine Salon ist für alle interessierten Besucher geöffnet. Aber uns war vor allem wichtig, Kinderbuchmachern eine Heimstätte zu geben, in der sie ausstellen und Lesungen abhalten können. Und dass sie einen Ort haben, an dem sie sich wohlfühlen.“ Solche kleinen Paradiese zu schaffen, zählt auch zu den Verdiensten von Winfried Opgenoorth.


Ausgabe 04/2021