Shabby Look Adieu?

Das Palais Schönborn in der Laudongasse beheimatet seit 1917 das Österreichische Museum für Volkskunde. Ab 2024 wird die längst überfällige Generalsanierung in Angriff genommen. 

Von Elisabeth Hundstorfer

Die Vorbereitungsarbeiten laufen bereits auf Hochtouren. Schon Ende 2021 wurde damit begonnen, die ersten Objekte einzupacken. Es sind über 400.000 Stück – allein über 15.000 Keramiken, 200.000 Fotos und, und, und.

Museumsdirektor Matthias Beitl hat zum Gespräch über die Zukunft des für die Josefstadt nicht nur historisch, sondern auch gesellschaftlich so wichtigen Museums in sein Büro eingeladen. Das barocke Gartenpalais Schönborn zeigt sich an diesem Vormittag von seiner besten Seite. Der Weg durch den kleinen Innenhof, den Gang entlang und über die schmale Wendeltreppe in den ersten Stock hinauf eröffnet einen Blick aus dem Fenster auf eine wildromantische Kulisse mit den Baumkronen des angrenzenden Parks im Hintergrund. Der Shabby Look des Wintergartens, in dem sich das Lokal „Hildebrandt“ (benannt nach dem berühmten Barock-Architekten) befindet, und natürlich die Kletterrosen verleihen dem Ensemble seinen einzigartigen Charme. Und dieser Charme soll nicht verloren gehen, wünschen sich vor allem die Besucher:innen.

Der mehr als in die Jahre gekommene Bau soll nun um insgesamt 25 Millionen Euro innen und außen renoviert werden. „Wir sind sehr froh, dass es jetzt endlich zur Sanierung kommt, das Haus ist in einem sehr maroden Zustand“, zeigt sich Matthias Beitl eingangs hocherfreut. Der Hausherr arbeitete während seines Studiums regelmäßig im Veranstaltungsmanagement und ist sich der logistischen Herausforderung dieses Unterfangens bewusst. „Ich habe mir als Student mit dem Aufbau der Festwochenbühne oder bei internationalen Rockmusikveranstaltungen Geld dazuverdient. 1994 war ich beim legendären Rolling-Stones-Konzert dabei. Mein Höhepunkt war aber nach dem Bosnienkrieg das Konzert von U2 in Sarajewo – ich
war für den Auf- und Abbau zuständig. Die Crew hat vor Kurzem in Wien das 25-Jahr-Jubiläum gefeiert, es war für alle ein unvergessliches Erlebnis. Bei diesen Veranstaltungen habe ich gelernt, Probleme rasch zu lösen. Das heißt: Geht nicht gibt’s nicht.“

2023 ist Beitl zwanzig Jahre am Haus und zehn Jahre Direktor – ist das der richtige Zeitpunkt für einen Paradigmenwechsel äußerlich sowie in der Museumsarbeit selbst?

Collage aus drei Fotos. Oben links mehrere Erwachsene, die in einer Vernissagen-Situation in kleinen Grüppchen zusammen stehen. Unten links: eine junge Frau zeigt interessierten rundumstehenden Erwachsenen ein Bild, im Hintergrund der Schriftzug "Museum für Volkskunde"; großes Bild rechts: ebenerdige Gangflucht eines alten Gebäudes zu einem Innenhof führend. Der Gartenausgang ist von einer Rosenlaube flankiert.

© Kramar/Kollektiv Fischka; © Matthias Klos/Bildrecht Wien

„Nach dem Umbau soll der Hof auf Nr. 19 noch mehr der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wir wollen das Regionale mit unserer Sammlung im europäischen Kontext verbinden. Wir verstehen uns als Kulturmuseum, das die Gesellschaft widerspiegelt, und wollen uns weiter zu einem Community-Museum entwickeln“, erläutert der Vizepräsident des Österreichischen Museumsbunds. „Wir setzen uns wissenschaftlich mit der Gesellschaft auseinander. Die Alltagskultur spielt bei uns eine wichtige Rolle. Auch die Jugend soll künftig mehr zum Zug kommen. Wir unterscheiden uns von anderen Museen auch in unserer Kooperationspolitik. Wir wollen die gesellschaftliche Teilhabe am Museum fördern und umgekehrt. Darum ist es uns wichtig, das Museum nach der Sanierung so weit wie möglich zu öffnen. Der Weg, uns an Veranstaltungen wie dem Filmfestival dotdotdot auch inhaltlich zu beteiligen, ist uns extrem wichtig und wird sicher beibehalten. Ein großes Problem der österreichischen Museen ist, dass sie sehr hierarchisch aufgestellt sind. Es ist an der Zeit, dass sie sich als Institution an die Gesellschaft anpassen.

Das ist auch der Grund, warum wir als Museum uns immer wieder an Themen, wie es zum Beispiel das Re:pair-Festival spielt, mit vielen verschiedenen Aspekten beteiligen. Darum: „Darf Museum auch Festival?“ – eine regelmäßig aufgeworfene Frage, im Allgemeinen und auch die Zukunft unseres Hauses betreffend – ist somit beantwortet. Mehrjährige Inhalte wie die Themen Soja oder Flucht, die sehr breit bearbeitet werden, haben eine positive Rückwirkung auf das Haus – diese werden wir ebenfalls weiterspielen. Wir leben in einem dynamischen Umfeld und sind inhaltlich krisengetrieben, worum wir uns kümmern sollten“, weist Beitl in die Zukunft des Museums.

Für das Filmfestival dotdotdot ist die Quasi-Subvention durch die kostenlose Zurverfügungstellung von Raum und Equipment von existenzieller Bedeutung. „Dass das Volkskundemuseum mit seiner Sanierung ein großes Raumthema aufreißt, ist uns bewusst. Wir werden schauen, ob man
die Baustelle wie auch immer bespielen kann. Das trifft nicht nur die Festivals und Events, sondern auch das Café und die Mostothek. Hier werden Lösungen gesucht, denn es ist mir wichtig, dass diese beiden tollen Projekte auch nach dem Umbau am Haus bleiben“, so Beitl weiter.

„Es werden die Stimmen immer lauter, dass der CV des Gebäudes lesbar bleiben soll – dass das Ensemble nicht zu Tode saniert oder vom ursprünglichen Prunk des Barocks erdrückt wird. Während der Schließung werden wir in der Nähe der Baustelle unsere Homebase aufschlagen. Ich denke da an ein kleines, gut zugängliches Gassenlokal. Wir werden die Zeit des Umbaus zur weiteren Aufarbeitung unserer Sammlungen nützen und die Forschung vorantreiben. Die Sammlungen werden in einem Depot am Hafen Wien untergebracht. Ich hoffe, wir können dort alles in ein gemeinsames Lager bringen. Auch die restauratorisch-konservatorischen Arbeiten sollen in diesem Zuge aufgewertet werden.“

Gibt es die Angst, dass die Kosten in Zeiten wie diesen explodieren und nicht alles so umgesetzt werden kann wie geplant? „Ich habe keine Angst. Es ist alles gut budgetiert“, zeigt sich der Volkskundemuseum-Direktor abschließend zuversichtlich. 2023 steht das Volkskundemuseum seinen Besucher:innen und Veranstalter:innen noch offen. WienTourismus will hier im Rahmen des Jahresthemas 2023 „150 Jahre Wiener Weltausstellung“ besondere Aktivitäten rund um die Sojabohne organisieren. Bei der Weltausstellung 1873 in Wien präsentierte Japan der westlichen Welt erstmals die Sojabohne. Wien war somit die Drehscheibe, die Soja in aller Welt verbreitete. Erste Anbauversuche fanden ausgerechnet im Gartenpalais Schönborn statt. Dazu mehr in der nächsten Ausgabe.


Volkskundemuseum Wien. 8., Laudongasse 15–19
Di–So 10–17h, Do 10–20h
Tel. +43 1 406 89 05, office@volkskundemuseum.at

Fotocollage; oben links: Blick in einen Museumsraum, im Vordergrund weibliche Holzskulptur in Tracht mit gefülltem Obstkorb auf dem Kopf; oben rechts: Menschenansammlung mit Streiktransparenten vor neoklassizistischem Gebäude; unten links: Ausschnitt eines urbanen Parks auf zwei Ebenen mit Stiege in die obere, mit Eisengitter umzäunte Ebene; unten rechts: schwarz/weiß Oberkörper-Porträt eines lockenköpfigen jungen Mannes in osteuropäischer Tracht um 1900

© Adsy Bernart – Photography

Randinfo

Fruchtgenuss

Eigentümerin des seit Jahren sanierungsbedürftigen Gebäudes ist die Stadt Wien, zur Erhaltung hat man in den 1950er-Jahren – wie auch bei anderen
Museen der Stadt – die Trägervereine verpflichtet. Seit 1. August hat der Bund im Rahmen eines sogenannten Fruchtgenussvertrags das Gebäude übernommen – und zwar bis zum 31. Dezember 2081. Dem Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport stehen für das Volkskundemuseum 25 Millionen Euro aus dem Wiederaufbaufonds der EU zur Verfügung: Das ist auch der Betrag, der in einer Machbarkeitsstudie der Stadt Wien veranschlagt wurde – die inhaltliche Neuausrichtung nach Wiedereröffnung im Jahr 2026 miteingerechnet.
2024 sollen die Bagger auffahren.

Bunker

Seit 1978 nutzt das Volkskundemuseum Wien den 1940 erbauten Luftschutzbunker als Museumsdepot. Rund 30.000 Objekte waren bzw. sind darin gelagert. Für manche Sammlungsobjekte ist dieser Aufbewahrungsort aus konservatorischen Gründen jedoch problematisch. Derzeit werden die Objekte in das Hauptdepot im Hafen Freudenau übersiedelt und es wird über eine neue Nutzung des Bunkers als Ausstellungs- und Veranstaltungsort nachgedacht. Aufgrund seiner Geschichte als Schutzraum für die Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg ist der Bunker ein „schwieriges Erbe“.

Energie

Kein Thema beschäftigt uns seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs mehr als Energie. Zwei Ausstellungen, die sich auf sehr unterschiedliche Epochen
beziehen, setzen sich damit auseinander: „Ölrausch und Huzulenkult. Fotografische Streitobjekte aus Galizien und der Bukowina“: Die modernste Industrie in der ärmsten Region – nirgends prallten die Gegensätze stärker aufeinander als an der Peripherie der Habsburgermonarchie. Die zweite Schau „Von Zwentendorf zu CO2. Kämpfe der Umweltbewegung in Österreich“ eröffnet am 20. Jänner 2023. Die inhaltlichen Stationen umfassen prägende Ereignisse wie die Kraftwerksverhinderungen von Zwentendorf und Hainburg. Beide Ausstellungen sind bis 26. März 2023 zu sehen.

Zahlen und Fakten

Etwas über 400.000 Objekte müssen verpackt werden, darunter: 7.500 Gefäßkeramik-Objekte (von 15.000, die Hälfte ist schon in der Freudenau), 700 Kacheln, 3.600 Zinn-Objekte, 40.000 Grafik-Objekte, 212.000 Objekte aus der Fotosammlung, 100 Fototechnik-Objekte, 720 Laufmeter Archiv und 153.000 Medien aus der Bibliothek. Am schwierigsten zu verstauen sind die Keramiken und die vielen kleinen Holzobjekte aus dem Bunkerdepot. Es gibt in den verschiedensten Kategorien besonders wertvolle Objekte, etwa einzelne Fotoglasplatten und Keramiken, auch Bücher und Grafiken. Seit einem knappen Jahr wird an der Übersiedlung gearbeitet. Dabei wird jedes Objekt auch überprüft und gegebenenfalls nachinventarisiert. In die Übersiedlung fließen bis Anfang 2024 rund 140 Arbeitsstunden pro Woche.

Ausgabe 04/2022